Rede von Stadtrat Sven Lange am 25.02.2025 im Gemeinderat
(es gilt das gesprochene Wort)
Liebe Anwesende, und das sind zu dieser späten Stunde noch sehr viele!
Zunächst dürfen wir nicht vergessen, worum es hier geht: um Menschenleben. Das Mittelmeer ist eine der gefährlichsten Fluchtrouten der Welt. Tausende sterben jedes Jahr bei dem Versuch, Europa zu erreichen.
Wie bereits im Integrationsrat angesprochen, ist die Seebrücke politisch nicht unumstritten, weshalb wir nicht einheitlich abstimmen werden. Aber die Seebrücke ist aus ganz anderen Gründen umstritten, als im Antrag der AFD aufgeführt.
Herr Schrade, im Integrationsrat wünschten Sie sich die Anerkennung einiger ihrer Positionen.
Ich wünschte mir, Sie würden im Antrag nicht einseitig argumentieren, die Migrant:innen nicht pauschal vorverurteilen, sie nicht pauschal kriminalisieren.
Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man über Migration im allgemeinen spricht, oder über Flüchtlingsschutz. Sie sprechen über Migration im allgemeinen, was kein Thema der Reutlinger Stadtpolitik ist.
Sie unterscheiden auch nicht zwischen Migration und Kriminalität. Ihre zitierte Aussage des Polizeigewerkschafters ist politisch aufgeladen, wird jedoch von keiner unabhängigen Kriminalitätsstatistik belegt. Studien des BKA und unabhängiger Institute zeigen, dass Kriminalität von Migranten zwar existiert, jedoch stark von sozialen und ökonomischen Faktoren abhängt – und das in allen Bevölkerungsteilen. Ihr Antrag suggeriert einen kausalen Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität, ohne dies mit belastbaren Zahlen zu untermauern.
Im Antrag schreiben Sie „Die Migrationskrise ist in allererster Linie eine Kriminalitätskrise und die größte Gefahr für Leib und Leben der in Deutschland lebenden Menschen geht ganz klar von Islamisten aus.“
Bleiben wir bei den Fakten: Im Jahr 2023 wurden bundesweit 1.458 Straftaten im Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität – Religiöse Ideologie“ registriert. Das 1458 Straftaten zu viel, keine Frage.
Wir hatten aber auch rund 2,5 Mio. Verkehrsunfälle, bei denen 292 Tausend Personen verletzt wurden und 2839 Personen gestorben sind. Diese Gefahr ist also geringer? Und fast jeden Tag findet ein Femizid statt, alle drei Minuten erlebt eine Frau oder ein Mädchen in D. häusliche Gewalt. Und bevor Sie jetzt an der Stelle mit Migrant:innen argumentieren: die Täter entsprechen analog dem Aufbau der Gesellschaft, also nicht mit höherem Anteil an Migrant:innen.
Im Rahmen des Integrationsrates argumentierten Sie mit den NGOs, die mit den Schleppern zusammenarbeiten würden. Aber sämtliche unabhängigen Untersuchungen – von der EU, der italienischen Justiz und internationalen Journalisten – konnten keine systematische Kooperation zwischen NGOs und Schleppern nachweisen. Es steht Ihnen frei, die Behauptungen nicht verifizierbarer Quellen einfach aufgreifen und gleichzeitig die italienische Justiz in Frage stellen wie auch alle, die unabhängig untersuchen. Das macht die Aussagen jedoch nicht glaubwürdiger, auch wenn sie noch so oft wiederholt werden.
Was wir sehen ist, dass Schlepper das Fehlen staatlicher Rettung nutzen, um Migrant:innen auf seeuntüchtige Boote zu setzen.
Ich wiederhole daher gerne meine im Integrationsrat gestellte Frage: Wollen wir wegschauen, wenn Menschen sterben, oder wollen wir uns für sichere und geordnete Fluchtwege einsetzen? Mit Ihren Antrag legen wir das letzte Stück Menschlichkeit zur Seite und schauen lieber weg, wenn die Menschen im Mittelmeer ertrinken. Da frage ich mich, welche Werte Sie wirklich vertreten. Achtung gegenüber anderen Menschen und Unterstützung von Schwächeren sind es so jedenfalls nicht.
Mit Sicherheit werde ich diesem Weg nicht folgen und werde folgerichtig ihren Antrag ablehnen.